Mit Vision Mantra hebt Adrianne Munden-Dixon die Geige aus vertrauten Bahnen und katapultiert sie in elektrisierende Neoklassik-Sphären.

Wer behauptet, man habe schon alles aus einer Geige herausgeholt, sollte besser die Finger von Adrianne Munden-Dixons neuem Album Vision Mantra lassen – oder es mit offenem Mund hören. Die in Montreal und New York beheimatete Geigerin, Komponistin und Improvisatorin liefert mit ihrem zweiten Album eine 55-minütige Reise, die so ziemlich alles unterwandert, was man mit diesem Instrument verbindet. Klassik? Ja. Zeitgenössisch? Auf jeden Fall. Aber vor allem: kompromisslos experimentell.

Das Herzstück bilden vier neue Solo-Werke von Martín Gendelman, Kimia Koochakzadeh-Yazdi, Gemma Peacocke und John Thompson, die in enger Zusammenarbeit mit Munden-Dixon entstanden. Und diese Zusammenarbeit hört man. Die Geige kreischt, summt, flirrt und rauscht – mal wie ein bedrohlicher Bienenschwarm, mal wie der Schimmer von Morgentau. Die Einbindung von Elektronik macht die ohnehin vielschichtigen Klänge noch unberechenbarer.

Doch Vision Mantra bleibt nicht bei Solostücken stehen. Mit den beiden Kammerwerken von inti figgis-vizueta und Marcos Balter, gespielt im Trio mit Viola (Carrie Frey) und Cello (Julia Henderson), entsteht eine dichte Klanglandschaft, die zwischen intimer Zartheit und orchestraler Wucht pendelt. Besonders eindrücklich ist, wie das Zusammenspiel den Hörer in eine sich ständig wandelnde Textur hineinzieht – wie ein Kaleidoskop aus Klangfarben, das nie stillsteht.

Munden-Dixon zeigt, dass die Geige weit mehr kann, als nostalgisch zu klingen. Hier wird sie zur Klangmaschine, zum Geräuscherzeuger, zur Stimme einer neuen musikalischen Sprache. Wer mit Erwartungshaltungen antritt, wird gnadenlos überrollt. Und das ist genau das, was dieses Album so aufregend macht.

Das Ergebnis: Vision Mantra ist ein mutiger Befreiungsschlag aus dem Elfenbeinturm der Klassik und gleichzeitig eine Einladung, die expressive Kraft der Geige neu zu entdecken. Kein einfaches Album, aber eines, das lange nachhallt – und dafür gibt es völlig verdient 8.5 von 10 Punkten.

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